Das Hafenkrankenhaus wurde im Jahre 1900 zunächst als Polizeikrankenhaus gegründet, wo «in Gewahrsam genommene Männer» medizinisch versorgt wurden. Es gab eine Abteilung für die zwangsweise Behandlung von Geschlechtskrankheiten, Reinigungs- und Desinfektionsabteilungen, ein «gesichertes Unruhigenhaus zur Verwahrung von Tobsüchtigen und Deliranten», ein Leichenschauhaus und zwanzig Frauenbetten mit einer Einrichtung für Notgeburten. Von Beginn an war dem Krankenhaus «eine Verbands- und Aufnahmestation angegliedert, und es werden auf der Straße oder an öffentlichen Plätzen erkrankte, verletzte oder bewusstlose Personen aufgenommen. Hierzu gehören namentlich die auf Schiffen, im Hafen oder auf Werften verunglückten Personen.» Entsprechend den Anforderungen des Hafen- und Freihafenbetriebes und der zunehmenden Gäste- und Besucherzahlen auf St. Pauli entwickelte sich das Hafenkrankenhaus in der Folgezeit zu einer Fachklinik für Unfallchirurgie und Notfallversorgung.
Auch das Hafenkrankenhaus war ein Ort, wo Menschen ideologisch begründet körperliches Leid zugefügt wurde. Gerhard Junke war einer von ihnen. Ein Stolperstein auf dem Trottoir im Eingangsbereich des Gesundheitszentrums erinnert an ihn stellvertretend für alle Homosexuelle, die hier während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kastriert worden sind. Inschrift: GERHARD JUNKE JG. 1913 EINGEWIESEN 1935 ’HEIL- UND PFLEGEANSTALT’ LANGENHORN STERILISIERT UND KASTRIERT ERMORDET 17.8.1943 MESERITZ-OBRAWALDE
Namen bekannter Ärzte, wie Prof. Dr. Gerhard Küntscher (1900-1972) und Dr. Hartmut Seidel (*1939), beide ärztliche Direktoren des Krankenhauses, sind mit dem Hafenkrankenhaus fest verbunden. Prof. Küntscher fixierte 1939 zum ersten Mal an der Uniklinik in Kiel einen Knochenbruch, mittels einer Marknagelung. Ab 1957 wirkte er im Hafenkrankenhaus und entwickelte hier wichtige chirurgische Geräte wie den flexiblen Markraumbohrer und die Innensäge. Der sog. Küntscher Nagel machte die deutsche Unfallchirurgie weltweit bekannt. Dr. Seidel verbesserte diese Technik in seiner Zeit im Hafenkrankenhaus (1989-1997) durch die (Weiter-)Entwicklung der Verriegelungsnagelung, der zementlosen Hüftgelenksprothesen, sowie dem Oberarm-Seidel-Nagel und die Seidel-Lasche zur Versorgung von Schenkelhalsbrüchen.
1974 drohte dem Hafenkrankenhaus seine erste Schließung, aber eine schwere Explosion auf der Werft Blohm & Voss (1975) zeigte schlagartig, dass eine hafennahe Versorgungseinrichtung unverzichtbar war. Aber die Diskussion war damit nicht vom Tisch, 1978 gibt es erneut Umstrukturierungs- und Schließungsdiskussionen und 1982 wird ein Erhalt und Ausbau des Hafenkrankenhauses genehmigt. Es folgen 10 relativ sichere Jahre. 1994 kündigte sich dann die endgültige Schließung des Hafenkrankenhauses an. Der «Krankenhausplan 2000» der Behörde für Gesundheit und Soziales sah den Abbau von 913 Betten in Hamburg vor. Als kleinstes Hamburger Krankenhaus in einem Stadtteil mit jeher schwacher Sozialstruktur und daher wenig politischer Lobby wurde das Hafenkrankenhaus als entbehrlich angesehen. Im Dezember 1996 kommt der offizielle Senats-Beschluss zur Schließung. Das Hafenkrankenhaus war nicht mehr profitabel, weil es zwar solide wohnortnahe Grundversorgung, aber keine Hochleistungsmedizin bieten konnte.
Offenbar erwartete man hier den geringsten Widerstand gegen die geplante Einsparungen. Aber das Hafenkrankenhaus gehörte zu St. Pauli, es war ein Stück Kiezkultur. Ungeachtet seiner sozialen Situation stand hier der Mensch im Mittelpunkt der Versorgung. Es war diese besondere Atmosphäre die von Anwohnern und Prominenten gleichermaßen geschätzt wurde. Es kam zu starken Protesten, Demonstrationen, Solidaritätskundgebungen & Unterschriftenaktionen. Die Bürgerinitiative Ein Stadtteil steht auf wurde gegründet. Sie besetzte Anfang 1997 unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit die «Station D». Das daraus hervorgegangene CaFée mit Herz wurde engagiert von Holger Hanisch (1950-2006) verteidigt. 87% der Hamburger Bevölkerung waren gegen die Schließung. Es gibt zu den Ereignissen im Frühjahr 1997 noch ein archiviertes Internetdokument und ein Interview mit einem damaligen Medizinstudenten.
Die Protestaktionen konnten die endgültige Schließung nicht verhindern, aber es wird die Idee ein Sozial u. Gesundheitszentrums am Standort des Hafenkrankenhauses zu gründen, geboren. Es soll die weitere medizinische Grundversorgung St. Paulis gewährleisten. Um die Idee zu konkretisieren, wird ein Runder Tisch mit Stadtentwicklungsbehörde (STEB), Stadtentwicklungsgesellschaft STEG, Bürgerinitiative und Anwohnern gegründet. Eine Befragung der BewohnerInnen der umliegenden Stadtteile macht deutlich, dass ein Zentrum, das Schulmedizin mit Alternativmedizin und sozialen Einrichtungen verbindet, dringend gebraucht wird. Ende 1997 wird Hildebrandt GesundheitsConsult, Hamburg beauftragt, ein Konzept für ein integriertes Sozial- u. Gesundheitszentrum auszuarbeiten. Dieses Konzept bildete die Grundlage für den Beschluss des Hamburger Senates, das heutige Gesundheitszentrum einzurichten. Das Gelände wird geteilt. Der nördliche Teil wird 1999 an die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG zur Errichtung von 200 betreuten Seniorenwohnungen veräußert. Der südliche Teil wird der Stadtentwicklungsgesellschaft STEG ins Treuhandvermögen übertragen zur Entwicklung und Bewirtschaftung eines Gesundheitszentrums mit einer modellhaften Nutzungsmischung von medizinischen, psychologischen, sozialpräventiven und sozialen Projekten.
Fotos: STEG (3), Dr. Jürgen Lockhausen (1), Günter Zint, St. Pauli Archiv (1)
Der Tag, an dem der Hafen Trauer trug/ Erinnerung an das Unglück bei B&V 1976 [18 kB]
Zum 100. Geburtstag von Professor Dr. med. Gerhard Küntscher [51 kB]
Genialer Forscher und Wissenschaftler: Gerhard Küntscher [280 kB]
Katastrophe im Hafen: Hamburger Abendblatt vom 10.01.1976 [560 kB]
Zur Schließung des Hafenkrankenhauses: TAZ vom 13.02.1997 [19 kB]
Pressemeldung vom 28.08.1998 [17 kB]
Hubert Fichte 1935 - 1986 / Kurzbiographie als pdf [18 kB]
Hafenkrankenhaus Wikipedia